„Wenn ich nur aufhör‘n könnt, aufhör‘n könnt…“

Der bekannte Bestsellerautor, Sozialpsychologe und Soziologe Harald Welzer spricht in seinem Buch „Nachruf auf mich selbst“ von der Kultur des Aufhörens und meint damit vor allem die Schwierigkeit, klimaschädigende Verhaltensweisen zu reduzieren. Bei unserer Arbeit in und mit Organisationen fällt uns genau das Gleiche immer wieder auf: nämlich wie schwer es Menschen fällt, gewohnte Tätigkeiten bzw. Prozesse zu beenden.

Wir kennen es: ein neues Management, neue Führungskräfte oder auch nur eine neue Idee, ein Projekt, eine Initiative. Alles das bedeutet für Organisationen und deren Teams, dass irgendetwas anders, neu gemacht werden muss. Im zentral aufgesetzten Change Management wird dann versucht, mühsam diese neuen Prozesse und Handlungen in die bestehenden Strukturen und Abläufe zu integrieren. Menschen dazu zu bringen, dass sie einen neuen Schritt in bestehende Abläufe einbauen, einen neuen Bericht erstellen, eine Schleife mehr drehen…

Alle diese zusätzlichen Aktivitäten, die dann „eh synergetisch mit bestehenden Aktivitäten mitgehen“, würden der gesamten Organisation einen Mehrwert liefern, die Unternehmenskultur verbessern und uns einen wichtigen Schritt näher zur Vision bringen. Aber sie kommen zu unserer bestehenden Aufgabenliste dazu.

Es kommt immer etwas dazu, nichts fällt weg

In der legendären Werbekampagne der Marke Dragee-Keksi aus den 70er Jahren wurde den Slogan „Wenn ich nur aufhör‘n könnt!“ kreiert, mittlerweile Social Media-tauglich mit der Abkürzung #winak aktualisiert.

In diesen Spots wurden Szenen der Abhängigkeit vom nicht endenwollenden Verzehr der süchtig machenden Schokokekse aus dem Hause Manner präsentiert. Und manchmal scheint es genauso in Organisationen abzulaufen, wenn es um unsere Routinen geht. Selbst dann, wenn diese Tätigkeiten ungeliebt und in der Zwischenzeit völlig unnötig geworden sind, sie halten sich aufrecht und reduzieren eine unserer wichtigsten Ressourcen: Zeit.

In einem Maßnahmen-Workshop zur Reduktion von Arbeitsbelastung nach einer Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen mit unserem Fragebogen PsyBePLUS® hat einmal ein Geschäftsführer von einem Tochterunternehmen eines globalen Konzerns gesagt: „Wir sind überhäuft von unzähligen Reports, die wir in unser Headquarter schicken müssen. Ich habe ab einem Zeitpunkt einmal begonnen, die aus meiner Sicht unsinnigsten Reports einfach nicht mehr zu erstellen und weiterzuleiten. Und stellen Sie sich vor, kein Mensch hat sich bei mir über deren Ausbleiben beschwert.“

Diese nette Geschichte illustriert, wie wir selbst unsere Ressourcen mit unnötigen Aufgaben vergeuden bzw. vergeuden lassen. Und im Wochentakt gibt es neue Aufgaben: eine neue Routine, ein zusätzliches Dokument und ein Arbeitsschritt mehr, in praktisch allen Fällen, ohne dass eine einzige Aufgabe wegfällt.

Die Kunst des Aufhörens lernen

In Zeiten des bedingungslosen Glaubens an den Fortschritt haben Begriffe, wie Rückschritt, Abbau und Aufhören einfach keinen Platz. Wir haben uns keine Kompetenz angeeignet, Dinge zu beenden, einen Schlussstrich zu setzen über vielleicht liebgewonnene, aber sinnlose – im Fall der aktuellen Klimabedrohung sogar zerstörende – Handlungen. Wir nehmen viel lieber an Meetings teil, wo es etwas Neues zu feiern gilt, als an Meetings, in denen wir unsere eigenen Tätigkeiten kritisch hinterfragen sollen.

In Follow up-Prozessen nach Mitarbeiterbefragungen, insbesondere dann, wenn es um die Reduktion von Arbeitsdruck und um eine hohe Dichte an Projekten, Initiativen und Veränderungen geht, empfehlen wir daher folgenden einfachen Workhack: Bei jeder neuen Aktivität muss eine alte wegfallen.

In Maßnahmen-Workshops kann man diesen Workhack gleichzeitig mit der Entwicklung neuer Tätigkeiten einbauen, indem wir die Workshopgruppe fragen: Was soll anstelle der neuen Aktivität wegfallen? Was machen wir dafür nicht mehr?

Interesse, gezielt Arbeitsdruck zu reduzieren? Schreiben Sie uns doch einfach in unser Kontaktformular, was Sie beschäftigt.