Der Zynismus der halben Sachen: Wenn Eigenverantwortung nur Schein bleibt

In der heutigen Arbeitswelt beobachten wir einen klaren Trend: Führungskräfte fordern zunehmend, dass Mitarbeitende mehr Eigenverantwortung übernehmen, selbstständig Entscheidungen treffen und aktiv Verantwortung tragen sollen. Wir sehen das immer wieder bei der Begleitung von Unternehmen im Follow up-Prozess nach Mitarbeiterbefragungen oder Projekten der Evaluierung/Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, wenn es um Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen geht.

Mehr Eigenverantwortung ist grundsätzlich positiv zu bewerten, denn in dem Moment, in dem Menschen die Möglichkeit haben, selbständig ihre Arbeit zu planen und zu tun, entsteht ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Dieses Gefühl beruht auf einem zentralen sozialen Motiv: dem Wunsch nach Autonomie. Für die psychologische Forschung gilt dieser Wunsch seit Langem als Schlüsselfaktor für Motivation und Arbeitszufriedenheit.

Selbstwirksamkeit als Treiber von Identifikation und Engagement

Die Befähigung zur Selbststeuerung und Eigenverantwortung führt dazu, dass Mitarbeitende nicht nur ihre eigenen Potenziale besser entfalten können, sondern auch Arbeitsprozesse flexibler und kreativer gestalten. Wenn Mitarbeiter die Freiheit genießen, Entscheidungen zu treffen, die ihren Arbeitsalltag maßgeblich beeinflussen, identifizieren sie sich auch stärker mit ihren Aufgaben und das mit einem höheren Engagement. Dabei ist die Erfahrung, selbstwirksam zu handeln, weit mehr als nur ein emotionales Plus: Sie schafft eine Basis für Innovation und kontinuierliche Verbesserung innerhalb des Unternehmens.

Hierarchien und deren Auswirkungen

Allerdings zeigt sich in der Praxis häufig ein eklatanter Widerspruch: Während von den Mitarbeitenden Selbstverantwortung eingefordert wird, operieren dieselben Unternehmen weiterhin mit einem stark hierarchischen Führungsmodell. Entscheidungen werden dabei häufig in einem engen Zirkel des Top-Managements getroffen, ohne dass die unteren Ebenen des Unternehmens in diesen Prozess eingebunden werden. Dieser Widerspruch führt zwangsläufig dazu, dass der Appell an die Eigenverantwortung hohl erscheint. Wie kann man von seinen Mitarbeitenden verlangen, selbstbestimmt zu agieren, wenn ihnen gleichzeitig die notwendigen Rahmenbedingungen für Mitbestimmung verwehrt bleiben?

Die Illusion hybrider Systeme

In einem rein hierarchischen System wird das Prinzip der Partizipation zum rein rhetorischen Instrument verkommen. Mitarbeiter erhalten auf der einen Seite den Vorwurf, nicht eigenverantwortlich genug zu handeln, während sie auf der anderen Seite von grundlegenden Entscheidungen ausgeschlossen bleiben, die ihren Arbeitsalltag maßgeblich beeinflussen. Ein derartiges Vorgehen ist nicht nur ineffektiv, sondern wirkt auch zutiefst zynisch. Es signalisiert, dass das Management zwar den Wunsch nach mehr Autonomie propagiert, jedoch nicht bereit ist, diesen Wunsch mit den notwendigen organisatorischen Veränderungen zu untermauern.

Die Konsequenz ist, dass die erhoffte Selbstwirksamkeit gar nicht erst entstehen kann. Wenn grundlegende Entscheidungen weiterhin in einem geschlossenen Kreis getroffen werden, bleibt den Mitarbeitenden kaum Raum, um eigenverantwortliche Erfahrungen zu sammeln. Dies unterminiert nicht nur das Vertrauen in die Führungskräfte, sondern führt langfristig auch zu einer geringeren Arbeitszufriedenheit und einer höheren Fluktuation. Es entsteht ein System, in dem der Schein der Selbstbestimmung gewahrt werden soll, während in Wirklichkeit die Kontrolle zentralisiert bleibt.

Schwarz oder weiß: Empowerment oder Hierarchie

Welche Lösung bietet sich also an? Die Antwort ist eindeutig: Es gibt nur zwei Wege, die keine Kompromisse zulassen. Entweder delegiert das Management Verantwortung an die Mitarbeitenden und gewährt ihnen echtes Empowerment – oder es bleibt bei der traditionellen, hierarchisch geprägten Struktur. In einem Unternehmen, das den Schritt in Richtung Selbstbestimmung wagen möchte, muss die Delegation von Verantwortung klar definiert und transparent erfolgen. Nur wenn Mitarbeitende tatsächlich an für sie relevanten Entscheidungsprozessen beteiligt werden, können sie auch die damit verbundenen Chancen der Selbstwirksamkeit nutzen. Dies bedeutet, dass nicht nur operative Aufgaben, sondern auch strategische Fragen in einem breiteren Kreis diskutiert und entschieden werden.

Ein hybrides System, das einerseits auf Selbstbestimmung und andererseits auf Fremdbestimmung setzt, ist nicht tragfähig. Es führt zu einem unklaren Rollenverständnis, das letztlich weder den Bedürfnissen der Mitarbeitenden noch den Anforderungen des Unternehmens gerecht wird. Wer sich hingegen bewusst für Empowerment entscheidet, schafft nicht nur eine höhere Identifikation mit den Unternehmenszielen, sondern auch ein Arbeitsumfeld, in dem Innovation und Kreativität gedeihen können. Mitarbeitende, die sich in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt fühlen, werden sich zwangsläufig nach Alternativen umsehen – und genau das möchte kein Unternehmen, das langfristig erfolgreich sein will.

Fazit

Zusammengefasst muss es also eine klare Entscheidung geben: Entweder wird Verantwortung nach unten delegiert und echtes Mitspracherecht eingeräumt, oder es bleibt bei einem autoritären Führungsstil, der auf zentralisierte Entscheidungen setzt. Es geht hier nicht um eine subtile Abstufung, sondern um ein prinzipielles Bekenntnis zur Art und Weise, wie Arbeit gestaltet werden soll. Nur so lässt sich der Spagat zwischen Führung und Selbstbestimmung überwinden und ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem alle Beteiligten ihr volles Potenzial entfalten können.

Eine Mitarbeiter:innenbefragung ist ein besonders wirksames Instrument, um Eigenverantwortung und Partizipation zum Leben zu bringen. Maßnahmen können im Follow up (siehe auch pluswert Tennisplatz-Workshop-Design) gezielt nach eigener und zentraler Zuständigkeit entwickelt werden. Das öffnet die Augen.

Schreiben Sie uns! Wir unterstützen Sie, Mitarbeiter:innenbefragungen gezielt als Trigger zu mehr Eigenverantwortung zu gestalten.